Kategorie: Texte

Aufruf: Unterstützung von Romnja aus der Ukraine

Wir haben am Aufruf des Bundesromaverband e.V. mitgearbeitet und bitten Sie/ Euch um Unterstützung des Aufrufs. Wenn Sie/ Ihr als Organisation oder Einzelperson unterschreiben möchten, bitte senden Sie eine Email an email hidden; JavaScript is required

Bewegungsfreiheit und Schutz für Roma aus der Ukraine!

Nicht alle Roma verlassen die Ukraine und nicht alle werden Opfer diskriminierender Behandlungen. Doch die Berichte über Diskriminierung von Romnja* an den Grenzen nehmen zu. Sie werden nicht in Autos mitgenommen, Busunternehmen weisen sie ab. In den Ankunftsorten werden sie aus unerfindlichen Gründen von den “weißen” Ukrainer:innen separiert. Auch in den Ankunftsorten in Deutschland gibt es Schwierigkeiten.

Es braucht große Räume

Überwiegend Frauen und Kinder sind auf der Flucht, mit Jugendlichen und manchmal pflegebedürftigen Angehörigen. Sie mussten sich von ihren Männern im “wehrfähigen Alter” trennen und wollen sich nicht weiter aufteilen. Neben den Kriegstraumata, die sie erlitten, berichten sie von massiven Diskriminierungen und Beleidigungen entlang der Fluchtrouten Richtung Westen.

Ukrainische Roma sind Nachkommen von Überlebenden und Opfern der Verfolgung und Vernichtung während des Nationalsozialismus. Wir möchten, dass gerade Deutschland jetzt Mittel bereitstellt und Schutz bietet.

Viele Romnja sprechen Romanes, Ukrainisch oder Russisch, jedoch nicht die Sprachen der Länder, in die sie fliehen. Manche können nicht lesen, und wenn, dann beherrschen sie nur kyrillische Schriftzeichen. Die ganze Situation ist extrem verunsichernd und bedrohlich. Angehörige einer Familie und Freund:innen, die sich gegenseitig unterstützen, wollen sich in dieser Situation nicht trennen und gern zusammen bleiben, auch zusammen unterkommen. Deshalb braucht es großzügige Unterbringungsmöglichkeiten, wo Menschen gemeinsam untergebracht werden können.

Rassismus trifft Roma auch jetzt

Zur leider auch schon vor dem Krieg existierenden strukturellen Diskriminierung gehört, dass viele Roma in der Ukraine undokumentiert sind und keine Pässe haben. Von den schätzungsweise 400.000 in der Ukraine lebenden Roma haben ca. 20 Prozent, also mehrere zehntausend Menschen, keine Papiere. Andere haben ihre Dokumente im Zuge der Flucht verloren. Für all diese Menschen ist es deutlich schwieriger, die Grenzen zu passieren und sich vor dem Krieg in Sicherheit zu bringen.

Diese besonders vulnerable Gruppe ist bisher überhaupt nicht in die Personengruppen einbezogen, die in der aktuellen Situation in den Ländern der Europäischen Union offiziell Schutz erhalten können.

Kämpfen dürfen oder müssen sie auch ohne Papiere, fliehen aber ist ein Problem. Es gibt Berichte, dass der ukrainische Grenzschutz papierlose Roma nicht über die EU-Grenzen lässt. Deshalb müssen sie über die Grenze in die Moldawische Republik. Dort werden die weißen ukrainischen Flüchtenden von den geflüchteten Roma getrennt untergebracht. Der Menschenrechtsaktivist des European Roma Rights Centres (ERRC) Jonathan Lee bezeichnet diese Praxis als Segregation und kritisiert auch die sehr desolaten Unterbringungen vor Ort.

In diesen speziell segregierten Zentren wurden keine Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft aus der Ukraine angetroffen. Das ERRC verschaffte sich vor Ort einen Überblick und stellte fest, dass die Behörden in Moldawien Hunderte von geflüchteten Romnja aus der Ukraine mit Bussen an die rumänische Grenze bringen. Die Romnja werden nicht darüber informiert, wie das Einwanderungsverfahren abläuft und werden an der Grenze häufig zurückgewiesen, weil sie nicht über die richtigen oder keine Dokumente verfügen.

Gleiche Rechte und Möglichkeiten für alle Geflüchteten!

Laut des Nachrichtensenders Al Jazeera werden die Behörden in Moldawien unter Druck gesetzt, einen Umverteilungsplan für flüchtende Roma auszuarbeiten, der ihnen keine Dokumente abverlangt. Von wem sie unter Druck gesetzt werden, berichtet der Sender nicht. Der moldawische Abgeordnete Dorian Istratii, koordiniert die Arbeit im Flüchtlingszentrum Manej. Er sagt, dass die moldawische Regierung daran arbeite, die rumänische Regierung dazu zu bewegen, flüchtende Roma ohne Papiere aus der Ukraine aufzunehmen, damit sie dort Asyl bekämen. Nach EU Recht würde dies allerdings bedeuten, dass sie dort dann bleiben müssten. Dies wäre eine klare Schlechterstellung von Papierlosen, da sich alle anderen Ukrainer:innen derzeit ihren Aufenthaltsort in Europa aussuchen können.

Dauerhaftes Bleiberecht auch nach dem Krieg

Aus den Jugoslawienkriegen wissen wir, dass viele der damals geflohenen Roma bis heute auch 30 Jahre danach in Deutschland (oder auch anderen Staaten) nur geduldet sind und heute abgeschoben werden. Eine Wiederholung dieser Geschichte gilt es unbedingt zu vermeiden. Der derzeitige Umgang mit den papierlosen Romnja aus der Ukraine lässt dies jedoch befürchten.

Aus Erfahrung wissen wir, dass es 1999 ethnische Säuberungen gegen Roma im Kosovo nach den NATO-Einsätzen gab. Durch Krieg und Vertreibung haben die Menschen ihr Eigentum verloren. Nach Ende des Krieges konnten sie nicht in ihr altes Leben zurück. Es gibt bereits jetzt eine große Zahl von Roma in der Diaspora in Europa, die nie mehr zurück können.

Die Bewaffnung der ukrainischen Streitkräfte, aber auch paramilitärischer Kämpfer:innen und natürlich auch Neonazis wird sich in den nächsten Jahren, auch wenn der Krieg vorbei ist, nicht so schnell wieder rückgängig machen lassen. Es ist zu befürchten, dass Angehörige von Minderheiten wie Roma in einer extrem bewaffneten Gesellschaft schutzlos werden. Die Ausschreitungen gegen Roma in 2018 etwa lassen Schlimmstes befürchten.

Auch für andere Personen, die Minderheiten angehören, ist die Situation potentiell gefährlich. Wir fürchten um diese Leute. Für uns bedeutet das, dass wir bereits jetzt dafür eintreten von Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie Betroffenen dauerhaft sichere Bleiberechte zu gewähren.

Wir brauchen:

  • Ein Aufnahmeprogramm für Romnja und Roma ohne Dokumente in westeuropäischen Staaten (sowie Transportmöglichkeiten von den ukrainischen Grenzen sowie Schutzräume auf den Fluchtrouten). Roma müssen sich den Zielort der Flucht genauso aussuchen können, wie alle anderen Ukrainer:innen auch.

  • Dazu gehört die Berücksichtigung von Romnja und Roma – insbesondere auch ohne Dokumente – aus der Ukraine bei der bereits von der deutschen Außenministerin Baerbock verkündeten Direktaufnahme von Geflüchteten aus Moldau.

  • Den sofortigen Stopp aller Abschiebungen in die Nachbarländer der Ukraine (Belarus, Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Moldawien, Russland).

  • Bereitstellung von Orten, an denen Gruppen von 10 – 20 Personen zusammen untergebracht werden können. Geeignete leerstehende staatliche Gebäude, Hotels, Jugendherbergen oder ähnliches sollten dafür freigemacht werden.

  • Wir brauchen dringend Mittel, um Unterstützungsstrukturen aufzubauen – zum Beispiel (psychologische) Telefon-Beratung (russisch / ukrainisch / romanessprachig). Beratung über Möglichkeiten der Registrierung und die Anmeldung Papierloser, Unterstützung bei erlebter Diskriminierung, Vernetzungsangebote, diskriminierungs- und sprachsensible Beratung für geflüchtete Roma, Koordination von Unterkunftsangeboten und Suche.

* * *

* In diesem Text schreiben wir überwiegend „Romnja“, weil sich überwiegend Frauen auf der Flucht befinden.

Initiiert von 

Bundes Roma Verband e.V. • Roma Center e.V./ Roma Antidiscrimination Network • Romani Phen e.V. • Romani Kafava Wilhelmsburg e.V. • Gruppe gegen Antiromaismus • Wakti Romano e.V. 

Unterzeichnende Organisationen 
Amadeu Antonio Stiftung • Anlaufstelle / Netzwerk Pro Sinti & Roma • Arbeitskreis Asyl Cuxhaven e. V. • ARRiVATi - Community Care • BLACK COMMUNITY Hamburg • BLACK COMMUNITY Coalition For Justice & Self-DEfence • Bezirksverband Neukölln der Partei DIE LINKE • Bildung in Widerspruch e.V. • Bündnis der Roma Organisationen - B.R.O. • Internationaler Kultur und Sport Verein der Roma Carmen e.V. • Amaro Foro e.V. • Bildungswerk für Friedensarbeit e.V. Berlin • die kommunistische songgruppe die anticapitalistas • Flüchtlingsrat Brandenburg • Flüchtlingsrat Bremen • Flüchtlingsrat Thüringen e.V. • Forschungsgesellschaft Flucht & Migration e.V. • Förderverein Roma e.V. • Institut für Berufsbildung und Sozialmanagement (IBS) gemeinnützige GmbH • KLIK e.V., Berlin, Wohnungslosen- & Jugendhilfe • Mülheimer Flüchtlingsrat e.V. • Philharmonischer Verein der Sinti und Roma Frankfurt am Main e.V. • Poliklinik Hamburg Veddel • Queer Roma • Romano kongreso Odesako chakreste (Odessa regionaler Roma-Kongress) • RomaRespekt • save space e.V. • Seebrücke Niedersachsen • Seebrücke Lüneburg • 1. Sinti-Verein Ostfriesland e.V. • Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas • Stiftung Zusammen_Wachsen • U.R.Y.D. Union des Roms de l’Ex Yougoslavie en Diaspora / Association Fleuve Ibar  • Verein Zuflucht - Ökumenische Ausländerarbeit e.V. • VVN/BdA kreisvereinigung oldenburg/friesland • VVN-BdA Friedrichshain-Kreuzberg • Wir packen's an e.V. - Nothilfe für Geflüchtete • Virtuelles Denkmal "Gerechte der Pflege"

und Einzelpersonen
Asylpfarramt der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Pfarrer Joachim Schlecht • marita blessing, dipl.-psychologin • Gerd Büntzly • Ann Margreth Date G29 Amnesty/Malmo • Esther Heling-Hitzemann, Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Göttingen (GCJZ Göttingen e.V.)  • Friedrich Wilhelm Höper • Susanna Kahlefeld, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen • Dr. Anne Kossatz, Pastorale Mitarbeiterin Pfarrei St. Marien, Bad Homburg, Friedrichsdorf • Gabriele Lang, Riedlingen • John O • Niko Rergo, Vorsitzender Romano kongreso Odesako chakreste (Odessa regionaler Roma-Kongress) • Dr. Linda Supik, Soziologin, Goethe Universität, Frankfurt am Main • Okan Uludasdemir • Esma Veselovski from a Romani women group Romane domacice • Eva Weber

 

 

Leserbrief an die sächsische Zeitung

Weil derzeit in der Dresdner Morgenpost und der Sächsischen Zeitung wieder unsägliche Artikel über eine “osteuropäische Großfamilie” kursieren, die in der Innenstadt Straßenmusik macht, dokumentieren wir hier einen Leserbrief vom Juni diesen Jahres. Schon damals fielen verschiedene Dresdner Medien über die Band her und ließen dabei alle Hemmungen fallen. Aber lest selbst:

Sehr geehrte Redaktion der Sächsischen Zeitung,
sehr geehrte Frau Vollmer,

wir, die Gruppe gegen Antiromaismus Dresden, wenden uns an Sie mit der Bitte um mehr Sensibilität im Gebrauch der Wendung „Sinti und Roma“. Anlass gibt uns der am 10.06.2016 erschienene Artikel „Eine Band tyrannisiert die Stadt“1, den wir als sehr problematisch wahrnehmen. Darin taucht die Zuschreibung „Sinti und Roma“ in einem grob erallgemeinernden und stark abwertenden Kontext auf und wird zudem falsch verwendet, da es um eine „osteuropäische Musikerfamilie“ geht, „Sinti“ jedoch nur jene Untergruppe der Roma bezeichnet, die seit mehreren hundert Jahren vor allem in Deutschland sowie einigen anderen westeuropäischen Ländern lebt.

Derartige Berichterstattung nährt sich aus antiziganistischen Vorurteilen und verstärkt sie ihrerseits. Diese Vorurteile kursieren unreflektiert in der Gesellschaft und sind der Boden für Diskriminierung und Stigmatisierung von Minderheiten. Der Artikel bedient das Klischee, dass die Minderheit die Allgemeinheit stört und sich nicht an die Regeln der Gesellschaft hält, ohne mit glaubwürdigen Zahlen und Belegen zu arbeiten. Weiterlesen

Konzentrier‘ dich doch selbst, Deutschland!

Gegen Geschichtsvergessenheit – Keine Sonderlager für Balkan-Flüchtlinge – Bleiberecht für Romnja und Roma!

In den vergangenen Wochen sprachen sich immer mehr Politiker_innen scheinbar ohne größere Bedenken für eine “Konzentration” Geflüchteter aus den sogenannten Balkanstaaten in “speziellen Einrichtungen” aus. Betroffen sind davon überwiegend Menschen, die der Minderheit der Roma angehören. Der sächsische Innenminister Markus Ulbig wollte eine “Konzentration” von Geflüchteten aus dem Balkan im Rahmen eines “Pilotprojekts”, um diese schneller wieder abschieben zu können. Menschen, die wegen ihres “Herkunftslandes mit nahezu 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit“ wieder in ihre Heimat zurückkehren müssten, sollen an „bestimmten Standorten konzentriert werden“, so Ulbig Anfang August diesen Jahres. Auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, befürwortete die Unterbringung von Menschen aus dem sogenannten Westbalkan in gesonderten Zentren, um sie schneller abschieben zu können. Über eine solche Konzentration könnten die Asylverfahren schneller abgeschlossen werden, äußerte sich Glück gegenüber dem Deutschlandfunk. Geradezu zynisch wird es, wenn Glück die Beschneidung von Rechten und Abschiebungen im Schnellverfahren als “christlich” bezeichnet und der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer hierin eine “Lösung gegen Rechtsradikalismus” zu erblicken vermag: Den besten Schutz vor Rechtsradikalismus würde eine “Lösung von Problemen, die viele Menschen bewegen” bieten. “Wir stehen für Humanität und Solidarität gegenüber Schutzbedürftigen”, sagte Seehofer. “Wir wollen aber auch sehr konsequent ein schwerwiegendes Problem angehen und den massenhaften Asylmissbrauch bei Flüchtlingen vom Westbalkan zurückdrängen. 40 Prozent der Asylbewerber kommen aus dieser Region – und die Anerkennungsquote liegt bei null.”

Was war der Grund für diese Äußerungen? Die Zahl der prognostizierten Geflüchteten, die einen Antrag auf Asyl in Deutschland stellen würden, wurde erhöht. Doch massenhafte Aktionen, Kundgebungen, Demonstrationen auch von vielen zivilgesellschaftlichen Akteuren haben gezeigt, dass nicht nur rechte Strukturen unterwegs sind. Viele Menschen haben ihre Solidarität bekundet. Von den Helfenden und Aktivist_innen wird unseres Wissens nach nicht gefragt, woher Leute kommen. Gefordert wird Hilfe und Schutz, aber auch ein Bleiberecht für alle und eine Perspektive für Geflüchtete. Die Gemengelage ist nicht mehr so einfach wie zu Beginn der 1990iger Jahre, denn viele Menschen sagen “Refugees welcome”. Das wirft also die Frage auf, warum Menschen aus dem Balkan im Gegensatz zu solchen aus Syrien oder Eritrea ein Problem seien. Die These: es sind Rom_nja.

Der sächsische Innenminister erklärt: „35% aller neuen Asylbewerber in Sachsen kommen aus dem Kosovo, Albanien oder Serbien – sie haben keine Chance auf Asyl. Mein Ziel ist es, dass sie sich gar nicht erst auf den Weg machen.“ Es spricht jedoch einiges dafür, dass sich die Menschen, und vor allem Rom_nja vom Balkan aus handfesten Gründen und mit gutem Recht auf den Weg machen.

Na bister 500.000* – Geschichtsvergessenheit

Die Diskussion um die “Konzentration” der vermeintlich “falschen Flüchtlinge” in “Sonderlagern” begann um den 2. August, ohne Rücksicht auf den internationalen Gedenktag für Rom_nja, die in Auschwitz gefoltert, erschossen und vergast worden sind.
Während des Nationalsozialismus wurde das Königreich Jugoslawien zerschlagen, durch die deutsche Wehrmacht okkupiert und mit Hilfe von Kollaborateur_innen bereits 1942 verkündet: “Serbien ist judenfrei”. Gemeinsam mit Jüdinnen und Juden, die u.a. im KZ Sabać bei Belgrad inhaftiert waren, waren Rom_nja die Opfer von Geiselerschießungen der Deutschen Wehrmacht im Herbst 1941. Allein in diesem Herbst hatten die Deutschen in Serbien zwischen 20.000 und 30.000 Menschen getötet, darunter sämtliche erwachsenen männlichen Juden und Roma. Frauen und Kinder wurden unter folgender Begründung in das KZ Sajmiste-Semlin bei Belgrad deportiert: “Sämtliche Juden und Zigeuner werden in ein Konzentrationslager bei Semlin überführt […] Sie waren nachweislich Träger des Nachrichtendienstes der Aufständischen”. Im Frühjahr 1942 wurden sie im Gaswagen ermordet. Die Deutschen hatten in den Roma-Vierteln Semlin bei Belgrad, in Sabać und Crveni Krst bei Nis Konzentrationslager unterhalten. Über 120.000 Menschen wurden inhaftiert, die meisten von ihnen Juden und Jüdinnen und Roma. Auch im Ustascha-Staat Kroatien wurden sie massenhaft Opfer von Erschießungen. Die Überlebenden schlossen sich später Titos Partisanenarmee an, um gegen die deutsche Wehrmacht zu kämpfen.
Insgesamt fielen dem nationalsozialistischen Vernichtungswahn mindestens 500.000 Roma und Sinti aus ganz Europa zum Opfer.

Als sich im Jahr 1999 die rot-grüne Regierung an der NATO-Operation “Allied Force” beteiligte, einer “humanitären Intervention” zugunsten unterdrückter Albaner_innen im Kosovo, wurde der Konflikt als einer zwischen Serb_innen und Kosovo-Albaner_innen besprochen. Das Eingreifen der NATO wurde mit der Verhinderung eines “neuen Auschwitz” (Josef Fischer) begründet. Rom_nja wurden jedoch von beiden Seiten enteignet, attackiert und vertrieben. Die Pogrome und systematischen Vertreibungen aus dem Kosovo auch nach den NATO-Interventionen waren kein Thema und bis heute wurden die Täter_innen nicht belangt. Viele von ihnen flüchteten in die Bundesrepublik und blieben teilweise mehr als 20 Jahre hier. Im Jahr 2010 schloss die Bundesrepublik Deutschland ein Rücknahmeabkommen mit dem kosovarischen Staat ab und schiebt seitdem kontinuierlich Rom_nja in den Kosovo ab. Viele Kinder sind in Deutschland geboren, sprechen deutsch, sind hier ausgebildet und sozialisiert. Würde die Bundesrepublik die Staatsbürgerschaft nicht weiterhin nach dem rassistischen “Blutrecht”, dem Abstammungsprinzip erteilen, wären sie Deutsche. Stattdessen werden sie in ein Land abgeschoben, aus dem ihre Eltern einst flüchteten und in das sie erst vor wenigen Jahren zurück kehrten mussten. Viele Familien stehen vor dem nichts. Die ehemaligen Täter_innen wurden nicht angeklagt, Enteignungen nicht rückgängig gemacht. Die Schulausbildung ist zu teuer und ein Sozialsystem gibt es so gut wie gar nicht.

Armut kommt nicht aus dem Nichts

Nur am Rande sei bemerkt, dass das seit 2008 anerkannte “unabhängige Kosovo” nicht besonders unabhängig ist. Die ökonomische Struktur basierte vor allem auf familiären und genossenschaftlichen Kleinbetrieben, die “Gesellschaftseigentum” waren, und von den Arbeitenden selbst verwaltet wurden. Diese werden seit 2002 von der Kosovo-Treuhandgesellschaft verwaltet, die unter anderem für die Privatisierung dieser Betriebe zuständig ist. Auch deutsche Akteure haben, wie in ganz Osteuropa, hiervon profitiert. Die neoliberal organisierte wirtschaftlichen Übernahme der Länder der ehemaligen Sowjetunion zog eine massive Verarmung vor allem von Rom_nja nach sich. In vielen Ländern werden sie systematisch von Bildung und Arbeitsplätzen ausgegrenzt, leben in segregierten Stadtvierteln oder in Slums. Von Verfolgung, Verteibungen und offener Gewalt bis hin zum Mord sind sie nach wie vor betroffen. Aufgrund eines strukturellem und offenen Antiromaismus sind sie in existentiellem Ausmaß von Armut betroffen.

Genau diese Armut wird thematisiert. Woher sie kommt, allerdings nicht. Geredet wird von sogenannten “Wirtschaftsflüchtlingen”. Der historische Kontext wird ignoriert und beschwiegen. Entschädigungszahlungen an Rom_nja für die Verbrechen im Nationalsozialismus? Es gab so gut wie keine. Würde sich Deutschland seiner historischen Verantwortung stellen, würde es Rom_nja, die hier Schutz suchen, ein sicheres Leben bieten. Die sofortige Anerkennung eines dauerhaften Bleiberechtsstatus von Rom_nja ist vor diesem Hintergund eine Mindestforderung und würde nebenbei die so genannte Blockade des Asylsystems schneller lösen, als “Pilotprojekte” zur “Konzentration” von Geflüchteten aus vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten.

* Romanes : Don’t forget the 500,000

Serbien, Bosnien und Mazedonien sind keine sicheren Herkunftsländer!

Gemeinsame Presseerklärung von Romano Sumnal e.V. (sächsischer Romaverein, Leipzig), Solidaritätsgruppe gegen Antiromaismus (Dresden) und Leipzig Korrektiv (Leipzig)
18. September 2014

Serbien, Bosnien und Mazedonien sind keine sicheren Herkunftsländer!

Am heutigen Freitag entscheidet der Bundesrat über eine Änderung des Asylrechts, durch die Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien zu „sicheren Herkunftsländern“ erklärt werden sollen. Diese Änderung würde es möglich machen, Asylsuchende aus den genannten Ländern pauschal abzuschieben, ohne ihre Anträge zu prüfen. Leidtragende werden in erster Linie Roma sein.

Zahlreiche Gutachten und Reportagen1 haben in den letzten Monaten gezeigt, dass die Länder des Westbalkans keinesfalls sicher für die dort lebenden Roma sind. Sie sind rassistischen Übergriffen ausgesetzt, haben keine Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt und sind in Politik wie Verwaltung unterrepräsentiert. Roma, die oft jahrzehntelang in Deutschland gelebt haben und nun dorthin abgeschoben wurden, stehen meist vor dem Nichts.

Aber darum ging es bei der Entscheidung von CDU, CSU und SPD auch nicht. Die Verschärfung des Asylrechts ist Folge einer medialen Hetzkampagne gegen „Sozialtourismus“ und „Asylmissbrauch“, die antiromaistische Stereotype aufgreift und bedient. In Wahlkämpfen wird mit diesen Stimmung gemacht, anstatt sie zu bekämpfen. Dabei sind die Zahlen alarmierend: Ein Drittel aller Deutschen äußerte in einer Studie, die von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes herausgegeben wurde, dass sie Roma als Nachbarn „eher oder sehr unangenehm“ fänden.2

„Die Bundesregierung muss sich ihrer Verantwortung endlich bewusst werden und die Europäischen Roma im Kampf um ihre Rechte unterstützen anstatt mit Gesetzesentwürfen, wie dem aktuellen, nur weiter an der Unterdrückung der Menschen zu arbeiten“, erklärt Gjulner Sejdi, Vorsitzender des sächsischen Romavereins Romano Sumnal e.V.“

Sandra Meier von der Dresdner Solidaritätsgruppe gegen Antiromaismus appelliert: „Wir fordern die sächsische Staatsregierung auf, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Asylsuchende aus Serbien, Mazedonien und Bosnien kommen nach Deutschland, weil sie dort nicht sicher sind. Außerdem fordern wir die sächsischen Grünen auf, auf ihre Parteikolleg_innen in anderen Bundesländern einzuwirken, dass sie dem Gesetz nicht zustimmen.“ Meier weiter: „Gegen antiromaistische Einstellungen in der Gesellschaft muss mehr getan werden.“

1Für einen ersten Einstieg: http://www.alle-bleiben.info/sichere-herkunftslaender-ein-schlag-ins-gesicht-fuer-verfolgte-roma/ ; http://www.proasyl.de/de/presse/detail/news/von_wegen_sichere_herkunftsstaaten/

2http://www.spiegel.de/politik/deutschland/roma-und-sinti-studie-ueber-antiziganismus-in-deutschland-a-989616.html

Heute haben wir gesiegt! – Der 1. Mai in Ustí

Am ersten Mai trafen sich in Ústí nad Labem fast alle politischen Spektren, um angesichts der Europawahl für sich zu werben. Auch 250 Nazis aus verschiedenen Ländern Europas marschierten durch die Innenstadt. Doch anders als in den vergangenen Jahren, blieben die Roma und Romnja in diesem Jahr nicht zu Hause. Zum ersten Mal gingen sie gemeinsam mit Antifaschistinnen und Antifaschisten auf die Straße, um gegen den Aufmarsch zu demonstrieren. Weiterlesen

Artikel der Soligruppe in Analyse und Kritik (ak 593)

Antifaschistische Selbsthilfe

International: Mit Blockaden wehren sich Roma und AntifaschistInnen gegen Neonazis in der Tschechischen Republik

Von der Soligruppe gegen Antiromaismus Dresden

Proteste und Übergriffe durch organisierte Nazis gegen Roma sind seit vielen Jahren in der Tschechischen Republik Realität. Im Jahr 2013 fanden fast an jedem Wochenende und teilweise in mehreren Kommunen gleichzeitig Aufmärsche statt. In Ceske Budejovice, Duchcov und Ostrava gingen im Mai 2013 jeweils mehr als 1.000 Neonazis auf die Straße. Unter Rufen wie »Zigeuner ins Gas!«, »Zigeuner zur Arbeit!« oder »Zigeuner abschlachten!« erhielten sie von umstehenden AnwohnerInnen Unterstützung. Nur die Polizei verhinderte, dass der Mob in die Häuser der Roma eindrang. Während dieser »heißen Phase« der Proteste starb der Rom Ivan Jarka (46) durch 21 Messerstiche, als er von Nazis attackierten Jugendlichen zu Hilfe eilte.

In diesem romafeindlichen Umfeld organisiert die Nichtregierungsorganisation Konexe aus Usti n. L. seit 2011 eine ganz eigene Form von Selbsthilfe. Die Organisation besteht zum großen Teil aus Roma und solidarischen AntifaschistInnen. Dabei geht es nicht um eine bessere Qualifikation oder Arbeitsbeschaffung für Roma. Unter dem Motto »černí, bílí, spojme síly!« (Schwarz, weiß, vereint kämpfen!) organisiert Konexe Antinaziproteste und orientiert sich dabei an Blockadestrategien, wie sie etwa durch Dresden Nazifrei! angewandt wurden.
Und diese Form der Selbsthilfe ist dringend nötig. Als im September 2011 in Varnsdorf direkt an der deutsch-tschechischen Grenze Neonazis Proteste gegen die dort lebenden Roma-Familien initiierten, wurde schnell klar, dass die Attackierten allein sind. NachbarInnen solidarisierten sich nicht, sondern beteiligten sich an den Naziaktionen.
Vorgänge dieser Art ließen sich seitdem in vielen Orten Tschechiens beobachten. Sie sind offener Ausdruck einer antiromaistischen Stimmung, die im ganzen Land dominiert. Antiromaistischer Populismus wird dabei von allen Schichten bedient, auch den gesellschaftlichen Eliten. Im Zuge des neoliberalen Umbaus der osteuropäischen Länder in den 1990er Jahren veränderte sich das gesamte soziale Sicherungssystem hin zu einer Aktivierungspolitik, die soziale Ungleichheiten komplett individualisiert.
Das Modell des aktivierenden Sozialstaats trifft vor allem Roma, die durch den Zusammenbruch ganzer Industriezweige und einer massiven Schrumpfung des Arbeitsmarktes nicht mal mehr Hilfsjobs finden. Aktivierung – also ein anderes Wort für »Druck ausüben« – führt zu Kürzungen sozialer Leistungen, Verelendung und Segregation vieler Roma.
Nur selten stellen sich PolitikerInnen auf ihre Seite. Die Aufforderungen der EU an die tschechischen Regierungen vor allem an der Schulpolitik für Roma-Kinder etwas zu ändern, scheitert am Willen zur Umsetzung. Die Regierungsparteien wollen wiedergewählt werden. Weiße Eltern protestieren massiv gegen die Schließung der »Förderschulen«, in denen fast ausschließlich Roma-Kinder unterrichtet werden. PolitikerInnen bedienen dann das Ressentiment von »behinderten« und »zurückgebliebenen« Roma, um das segregierte Schulsystem zu rechtfertigen. Hier vermischen sich Rassismus und neoliberales Denken und führen zu einer Ethnisierung von Armut und Unterschicht.
Seit einigen Jahren, vor allem im Zuge von Wahlkämpfen, forcieren Neonazis mit einigem Erfolg ein offenes und brutales Vorgehen gegen Roma. Im Jahr 2013 meldete hauptsächlich die DSSS (Dělnická strana sociální spravedlnosti), die »Arbeiterpartei« mit ihrem Vorsitzenden Tomáš Vandas, solche Demonstrationen an. Unter dem Motto »Radikal. Sozial. National« oder »Europa, jung und revolutionär« veranstaltete sie zuletzt Ende 2013 eine Kundgebung in Prag. Mit dabei als RednerInnen waren Mitglieder der Jungen Nationaldemokraten, der Jugendorganisation der NPD. An diesen sogenannten Hassmärschen beteiligen sich aber auch autonome Gruppen wie Czech Lions oder die Svobodná mládež (Freie Jugend).
In den kommenden Wochen ist wieder mit antiromaistischen Aufmärschen zu rechnen, denn das Mobilisierungspotenzial ist hoch und wird medial angeheizt. Rechten Parteien wie der DSSS werden inzwischen deutlich mehr Chancen zugesprochen, bei den anstehenden Europawahlen Sitze im EU-Parlament zu gewinnen. In dieser Situation ist davon auszugehen, dass Neonazis sich wieder vor Häusern, in denen Roma leben, postieren werden. Auch Konexe steht dabei im Fokus. Erst Ende März protestierten 150 Neonazis in der Kleinstadt Duchcov gegen die Organisation, diesmal allerdings ohne Beteiligung der EinwohnerInnen und ohne Ausschreitungen wie im Jahr 2013.

Die Soligruppe gegen Antiromaismus aus Dresden steht im Austausch mit AktivistInnen von Konexe und Ne Rasismu! in Usti. Aktuelle Informationen: http://namf.blogsport.de

Grenzenlose Solidarität statt beschränktem Nationalismus!

Aufruf zur Beteiligung an den Protesten gegen den Naziaufmarsch am 1. Mai in Ústí nad Labem

In den letzten Jahren gab es immer wieder Proteste und Übergriffe durch organisierte Nazis gegen Rom_nja in der Tschechischen Republik. Im Jahr 2013 fanden fast an jedem Wochenende und teilweise in mehreren Kommunen parallel Aufmärsche statt. Viele Einwohner_innen der Gemeinden beteiligten sich an den „Hassmärschen“. Bereits am 15.02.2014 begann die „Saison“ für die Neonazis wieder.

Auch deutsche Nazis wie das „Freie Netz Süd“ mobilisieren regelmäßig für Events in Tschechien. Im Zuge des anstehenden Europawahlkampfes hat die tschechische Neonazipartei DSSS schon einige Veranstaltungen angekündigt. Unter anderem will sie am 1. Mai eine Demonstration im nur 60 Kilometer von Dresden entfernten Ústí nad Labem durchführen, für die auch freie Kräfte in Tschechien mobilisieren. Als Redner sind bereits Tomáš Vandas, Parteichef der DSSS, wie auch Paul Rzehaczek aus Leipzig, Vorsitzender der JN Sachsen, angekündigt; weitere „Gäste“ sollen in den nächsten Tagen bekanntgegeben werden. Offiziell rechnet die DSSS mit ca 500 Teilnehmer_innen, die unter dem Motto „Die Zukunft gehört der tschechischen Krone, nicht dem Euro“ demonstrieren werden. Obwohl sich die Demonstration diesmal nicht direkt gegen Rom_nja richtet, besteht eine reale Gefährdung, da sie nur 200 Meter entfernt von mehrheitlich von Rom_nja bewohnten Häusern vorbeiführen soll.
Während in der Region um Ústí Gegenproteste bisher nur von kleineren Gruppen und vor allem den Rom_nja selbst getragen wurden, wird in Ústí gerade eine neue Strategie versucht. Im Bündnis mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppen wird unter anderem über die Möglichkeiten von größeren Blockaden diskutiert – in jedem Fall sollen die Proteste gemeinsam organisiert werden. Im Vorfeld findet bereits eine öffentliche Diskussionsveranstaltung statt, in der unter anderem auch über die Erfahrungen mit dem 13. Februar in Dresden berichtet wird. Unsere Solidarität darf nicht an der Staatsgrenze enden, deshalb wollen wir die Proteste am 1. Mai in Ústí solidarisch unterstützen.