Pressemitteilung zur Vortragstour tschechischer Roma-AktivistInnen durch zehn Städte in Deutschland über die Kampagne „Free Lety“ – Für ein würdiges Gedenken an den Porajmos

Tschechische AktivistInnen der Organisation Konexe (Ústí nad Labem) bereisen derzeit zehn Städte in Deutschland, um über die Situation tschechischer Roma zu berichten. Vor allem steht die Situation in Lety bei Písek im Vordergrund, wo auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers für Rom_nija heute eine Schweinemastanstalt in Betrieb ist.

„Ihr könnt wählen: mehr Geld für Bildung oder wir kaufen die Schweinemastanstalt“ – so antworteten tschechische Politiker in der Vergangenheit, wenn sie von Rom_nija zur Schließung der Schweinemastanstalt auf dem Gelände des einstigen „Zigeunerlagers“ Lety bei Pisek aufgefordert wurden.

Im von den Deutschen besetzten Protektorat Böhmen und Mähren wurden ab 1939 Rom_nija inhaftiert, die aus verschiedenen anderen okkupierten Gebieten geflohen waren bzw. umgesiedelt wurden. Das „Gesetz betreffend Zigeuner und ähnlicher Landstreicher“ von 1927 kriminalisierte zunächst vor allem männliche Roma und Sinti als vermeintlich „arbeitsscheue Personen, die nicht nachweisen“ könnten, dass „ihr Lebensunterhalt sichergestellt sei“ und führte zur Internierung in „Strafarbeitslagern“. Auch Lety bei Písek war ein solches Lager, eingerichtet noch unter der Leitung tschechischer Beamter.

Eine Verschärfung der antiziganistischen Politik setzte mit der Berufung Heydrichs in das Protektorat 1941 und der Verwaltungsreform 1942 ein, innerhalb derer die relative Autonomie der tschechischen Administration aufgehoben wurde. Ab 1942 existierte das Lager für alle als „Zigeuner“ klassifizierte Personen. Im Frühjahr 1943 wurden die Gefangenen zum großen Teil nach Auschwitz deportiert, um dort vergast oder weiterhin durch Zwangsarbeit ausgebeutet zu werden.

Der Aktivist Jozef Miker (Krupka, nahe Ústí nad Labem) berichtet über die Auswirkungen der Geschichte des Lagers Lety auf seine Familie, die zum Teil in dem Lager inhaftiert gewesen ist. Nur wenige haben die rassistische Verfolgung überlebt.

Im Jahr 1973 hatte die damalige kommunistische Regierung der Tschecheslowakei eine große, industrielle Schweinemastanstalt auf dem Gelände des einstigen Lagers in Lety bauen lassen. Diese ist bis heute in Betrieb, obwohl es in den vergangenen zwanzig Jahren immer wieder Proteste bis hin zu EU-Resolutionen in den Jahren 2005 und 2008 gegeben hatte, welche die Schließung der Schweinemast auf dem Gelände forderte. Auch die konkrete historische Verantwortung für das Lager ist Gegenstand der Debatte.

Die Situation tschechischer Rom_nija heute ist extrem prekär. Alle öffentlichen Meinungsumfragen zeigen, dass die Mehrheitsgesellschaft starke Vorurteile gegen Roma hegt und Antiziganismus und Antiromaismus dominieren. Roma und Romnija werden auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt und in anderen Bereichen ihres Lebens diskriminiert. Das Schulsystem ist nahezu durchgehend segregiert.

Ivanka Mariposa Čonková (Prag) kritisiert die Sozialpolitik der tschechischen Regierung und mahnt gleichzeitig die europäischen Institutionen zum Umdenken: „Die Politik der sozialen Integration ist völlig verfehlt, denn sie hört nicht auf, uns Roma als Problem zu benennen, anstatt den Hass, der uns entgegen schlägt.“ Nach wie vor sei es verbreitet, Romnija und Roma selbst für ihre Diskriminierung verantwortlich zu machen. Allein Begriffe wie „Roma-Strategie“, „Roma-Issue“ oder „Roma-Frage“ machten dies in dramatischer Weise deutlich, so Čonková.

Über den schnell zu aktivierenden Hass und das Gewaltpotential gegenüber Rom_nija spricht der Aktivist Miroslav Brož (Ústí n.L.) in seinem Beitrag über die Hassmärsche, die in den letzten Jahren in der tschechischen Provinz stattfanden.

Dass ein Teil dieser Situation – nicht nur in der tschechischen Republik – die mangelnde Anerkennung der Verfolgung und Vernichtung von Sinti und Roma während des Nationalsozialismus ist, darüber spricht die Solidaritätsgruppe gegen Antiromaismus (Dresden). Auch Deutschland müsse endlich seine historische Verantwortung wahrnehmen. „Dass wir über die Verfolgung von Roma und Sinti vor und während, aber auch nach dem NS kaum etwas wissen, ist eng verbunden mit der Ignoranz, die Roma und Sinti auch heute noch entgegengebracht wird. Diese Ignoranz kann schnell in Hass umschlagen. Die historische Verantwortung für den Fall Lety liegt nicht allein bei Tschechien. Deutschland muss sich an den Kosten für eine Verlegung der Schweinemast beteiligen.“

Weiterhin fordert die Gruppe die deutsche Regierung auf, sich in der Asylpolitik stärker für Rom_nija aus ganz Europa einzusetzen: „Anstatt die Liste der ’sicheren Herkunftsländer‘ zu erweitern, sollte Deutschland für Roma ein sicheres Fluchtland sein“, so der Sprecher Jan Feldmann. „Die Geschichte der Verfolgung und Vernichtung von Roma und Sinti in ganz Europa reicht lang zurück und ist viel zu wenig im kollektivem Gedächtnis verankert. Der Hass gegen Roma ist ein europäisches Phänomen, welches nicht an der Grenze zu Deutschland halt macht“. Lety sei ein Symbol, welches die heutige Situation der Romnija und Roma in ganz Europa aufzeigt. „Unabhängig davon, von wem das Lager historisch zu verantworten ist, das kann so einfach nicht stehen bleiben.“

Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung:
Jan Feldmann
Pressesprecher der Soligruppe gegen Antiromaismus Dresden
0157 – 32930827
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