Schlagwort: Asylgesetzverschärfung

Offener Brief an alle Mitglieder des Deutschen Bundestages

Wir haben einen offenen Brief an alle Mitglieder des Deutschen Bundestages zur für heute geplanten Verschärfung des Asylrechts verschickt:

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute sollen Sie über eine von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzesinitiative abstimmen, welche unter anderem vorsieht, Albanien, Kosovo und Montenegro als sogenanntes “sicheres Herkunftsland” zu bestimmen. In den vergangenen Wochen und Monaten wird zunehmend – angesichts stark steigender Zahlen von Flüchtenden – in vermeintlich “richtige” und “falsche” Flüchtlinge unterschieden. So wird z.B. Flüchtenden aus Syrien das Recht auf Asyl zuerkannt und sie werden von großen Teilen der Gesellschaft “willkommen” geheißen. Demgegenüber werden Menschen aus den Ländern des sog. “Westbalkan” als bloße “Wirtschaftsflüchtlinge” diffamiert, die keine echten Fluchtgründe vorzuweisen hätten.

Dies soll nun pauschal in Gesetz gegossen werden, die Liste der sogenannten “sicheren Herkunftsländer” um Albanien, Kosovo und Montenegro erweitert werden. Tatsächlich aber ist die Definition eines solchen “sicheren Herkunftslandes” bloße Fiktion. Sie hilft bei einfacher Erledigung des Asylverfahrens und schneller Abschiebung, ohne auf die vorgetragenen Fluchtgründe individuell eingehen zu müssen. Asylsuchende aus diesen Ländern sollen gar nicht mehr auf die Kommunen verteilt, sondern in besonderen “Erstaufnahmelagern” (Angela Merkel) untergebracht werden. Von mehreren Politikern, wie Horst Seehofer und Markus Ulbig, wurde in dem Kontext gar von einer “Konzentration” dieser Menschen gesprochen. So will man der sog. “Flüchtlingswelle” Herr werden. Mit der beabsichtigten Verschärfung des Asylrechts würde die Politik nur vor dem Druck des rechten Stammtisches zurückweichen.

Bedenkt man, dass mindestens ein Drittel der Flüchtlinge aus den betroffenen Staaten der Gruppe der Roma angehören1, dann wird uns schlecht. Roma wurden in ganz Europa seit ihrer Ankunft vor mehr als 600 Jahren nahezu ununterbrochen verfolgt und diskriminiert. Mörderischer Höhepunkt dessen war die Massenvernichtung von schätzungsweise 500.000 Roma in den Konzentrationslagern des nationalsozialistischen Deutschlands. 70 Jahre danach sind die Parallelen zur aktuellen Situation von Roma alarmierend. Sie sind nahezu überall in Europa fortdauernder Diskriminierung und Ausgrenzung in allen Lebensbereichen ausgesetzt; für die Staaten des Westbalkans heißt dies konkret: kein Zugang zum Wohnungsmarkt, häufig ohne Versorgung mit Strom und fließendem Wasser, Ausschluss von Arbeitsmarkt, kein Zugang zu Gesundheitsversorgung, extrem erschwerter Zugang zu Bildung, kein Schutz durch Justiz und Polizei, oft sogar behördliche Schikanierung bis hin zu körperlicher Gewalt durch die Polizei2. In der Slowakischen Republik ist man sogar dazu übergegangen, Siedlungen von Roma tatsächlich durch Segregationsmauern zu umgeben.Zusammengenommen ist die europäische Roma-Bevölkerung klar von gruppenspezifischer Verfolgung betroffen. In einigen Staaten, gerade im “Westbalkan”, ist ihre Lage überdies von wesentlichen Merkmalen des LAGERS gekennzeichnet: völlig ausgeschlossen und entrechtet. Mitten in Europa existiert ein funktionierendes System der Apartheid, unter dem etwa 15 Millionen Mitbürger_innen zu leiden haben.

Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung gegenüber Roma. Sämtliche Berichte zeigen: es gibt kein “sicheres Herkunftsland” für Roma in Europa. Dieser Verantwortung – endlich – tatsächlich gerecht zu werden, bedeutet konkret: keine Abschiebung von geflüchteten Roma, unabhängig von ihrem “Herkunftsland” und Garantie eines dauerhaften Bleiberechts in Deutschland.

Nehmen Sie heute diese Verantwortung wahr – stimmen Sie gegen die Asylrechtsverschärfung.

Mit freundlichen Grüßen,
Gruppe ‘Gegen Antiromaismus’ Dresden

  1. http://www.frsh.de/fileadmin/pdf/presseerklaerungen/2015/Anteil_Roma_Asylbew.Balkan_6-2015.pdf [zurück]
  2. Wenn Sie sich näher über die Situation von Roma in Serbien und Kosovo informieren wollen, sind die Informations-Broschüren der Kampagne “alle bleiben!” eine gute Wahl:
    Serbien: http://www.alle-bleiben.info/wp-content/uploads/2014/03/serbien_2013_web.pdf
    Kosovo: http://www.alle-bleiben.info/wp-content/uploads/2014/12/kosovo_web.pdf [zurück]

Mehr Abschiebungen sind nicht die Lösung – Kommentar zur derzeitigen Unterbringungssituation in Sachsens Kommunen und den Erstaufnahmeeinrichtungen

In den sächsischen Medien sind in den letzten Tagen mehrere Artikel zu den derzeitigen Problemen rund um die Unterbringung von Asylsuchenden in Sachsen erschienen. Die Kommunen beklagen eine zu große Zahl von Asylsuchenden und die fehlende Unterstützung seitens des Innenministeriums und der Landesdirektion. Selbst das BAMF kritisiert den Freistaat für seine Unterbringungspolitik.

Fakt ist: Trotz der absehbar höheren Zahl von Geflüchteten in Deutschland, und damit auch in Sachsen, läuft der Vorbereitungs- und Umsetzungsprozess der Aufnahme in Sachsen schleppend. Angefangen beim Innenministerium, das sich lieber auf irgendwelche Sondereinheiten konzentriert, anstatt die Kommunen nachhaltig finanziell und institutionell zu unterstützen, über die Informations- und Zuweisungspolitik der Landesdirektion, die es den Kommunen erschwert, sich auf die Unterbringung vorzubereiten, bis hin zu den Kommunen, die teilweise immer noch nicht verstanden haben, dass Menschen weiter nach Deutschland flüchten werden und Unterbringungsmöglichkeiten vorgehalten werden müssen, und zwar vor allem Wohnungen, und nicht nur Heime. Viele Akteure scheinen weiterhin überfordert.

Über die Probleme der Betroffnen wird stattdessen kaum gesprochen: Wer nach Deutschland flieht, benötigt eine*n soziale Ansprechpartner*in, eine Unterkunft, medizinische Versorgung und eine finanzielle Grundausstattung. Diese Mindestanforderungen sollten bereit gestellt werden, und zwar vom ersten Tag an, unabhängig von der Bleibeperspektive oder sonstigen Faktoren. Das BAMF kritisiert daher sicher zu recht, dass der Freitstaat seiner Pflicht nicht nachkommt.

Allerdings sind die vorgeschlagenden Lösungen höchst befremdlich: Mehr Abschiebungen (oder wie es euphemistisch heißt “Rückführungen”) sind genauso wenig akzeptabel wie die Einrichtung von Containerlagern. Und die derzeitige Verschiebung von Verantwortung zwischen den Beteiligten muss aufhören. Jede Stelle muss sich endlich ihrer Verantwortung bewusst werden und Verantwortung übernehmen, denn selbst wenn eine Person im Einzelfall keinen Anspruch auf Asyl hat, was erst nach einem Verfahren entschieden wird und mit der Unterbringung nichts zu tun haben darf, müssen die Aufnahmebedingungen im Freistaat Sachsen entsprechend der Würde des Menschen und der gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden.

Das NAMF Dresden unterstützt daher die Forderung nach besserer finanzieller Ausstattung, wie sie die Kommunen geäußert haben, warnt aber davor, asylverfahrensrechtliche und aufnahmerechtliche Aspekte in der Diskussion zu vermischen. Der Anspruch auf eine menschenwürdige Unterbrinung und Versorgung ist kein Gnadenakt, sondern ein Recht, dass sich aus dem Antrag auf internationalen Schutz/ Asyl ergibt. Nun sind alle Beteiligten in Sachsen aufgefordert, diesem Thema Priorität einzuräumen, anstatt die Verantwortung immer nur abzuwälzen.

http://www.dnn-online.de/dresden/web/regional/politik/detail/-/specific/Bundesamt-Gruene-Linke-und-Landessportbund-kritisieren-Erstaufnahmepraxis-fuer-Fluechtlinge-in-Sachsen-3451831954

http://www.sz-online.de/sachsen/bundesamt-kritisiert-saechsische-erstaufnahmepraxis-fuer-fluechtlinge-3042463.html

http://www.mdr.de/nachrichten/asylstreit-sachsen-kreise100_zc-e9a9d57e_zs-6c4417e7.html

Sammelabschiebungen von Roma nach Serbien, Mazedonien und Bosnien verletzen Menschenwürde und Menschenrecht auf Asyl

Das Namf – Netzwerk Asyl, Migration, Flucht veröffentlichte folgende Pressemitteilung:

Das Netzwerk Asyl Migration Flucht verurteilt Massenabschiebungen von Roma in den Westbalkan. Die von der Bundesregierung angestrebte Sichere-Dritt-Staat-Regelung verhindert Einzelfallüberprüfungen und sorgt für ethnische Diskriminierung. Sachsen vollzieht Abschiebungen auch von Kranken und Schwangeren.

Das NAMF Dresden sieht im politischen Vorgehen der Bundesregierung und der vollziehenden Behörden des Bundes und der Länder deutliche Anzeichen für eine ethnische Diskriminierung von Roma: “Durch die angestrebte Deklarierung von sechs Balkanstaaten als „Sichere Herkunftsstaaten“ wird das Prinzip der Einzelfallentscheidung für betroffene Flüchtlinge aus diesen Ländern faktisch ausgehebelt”, so Stefan Stein vom Netzwerk. „Angesichts der massiven und nachgewiesenen Diskriminierungen, die Roma in diesen Ländern erfahren, gleicht dies einer ethnischen Diskriminierung.” Die Bundesregierung begründet ihr Vorgehen unter anderem mit der geringen Asylanerkennungsquote: „Dies ist aber eine Milchmädchenrechnung, weil das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF) europäisches und deutsches Recht nur unzureichend anwendet und damit für die geringen Quoten selber sorgt“, so Stein weiter.

Das NAMF Dresden fürchtet nach den Erfahrungen aus anderen Bundesländern nun auch wieder Sammelabschiebungen aus Sachsen: „Wir konnten in den letzten Wochen in Erfahrung bringen, dass für Ende März und Anfang April bundesweit Sammelabschiebungen angekündigt sind und befürchten, dass sich auch das Land Sachsen an diesen beteiligt“. Sachsen schiebt aber bereits seit einigen Monaten immer wieder Personen in die ehemaligen Staaten Jugoslawiens ab: „Dabei haben wir von einigen schlimmen Fällen erfahren: Im Februar wurde in Borna eine Frau im 7. Monat abgeschoben. In Dresden wurde Mitte Februar eine fünfköpfige Familie abgeschoben, obwohl die Mutter einen Herzfehler hatte und dringend eine Behandlung in Deutschland benötigte“. Vielen betroffenen Personen wird vorher die freiwillige Ausreise aus zweckfremden Erwägungen nicht gestattet, sodass es zu Abschiebungen kommt. „Wir verurteilen diese Praxis der Eskalation, um Menschen die Wiedereinreise nach Deutschland nicht zu ermöglichen. Wir rufen die sächsischen Vollzugsbehörden dazu auf, sich an den Grundsätzen des weltweit anerkannten Rechts auf Asyl zu halten“, so Stein.

Die NPD und rechte „Bürgerbewegungen“ nutzen antiziganistische und andere rassistische Stereotypen, um Stimmung gegen Asylsuchende in Deutschland zu erzeugen. Im Schatten der anstehenden Europa- und Kommunalwahlen gibt ihnen die deutsche Regierung mit der Verweigerung der Schutzbedürftigkeit auch für Menschen aus Albanien, Montenegro und dem Kosovo recht. Kritische Stellungnahmen von Pro Asyl oder entsprechende Berichte der EU-Kommission werden dabei nicht berücksichtigt.

“Die Folge dieser Politik”, so Stefan Stein, “ist das In Kauf nehmen von Leid und Elend einer ganzen Gruppe von Menschen zugunsten von Wählerstimmen”. Dies entspricht weder der historischen Verantwortung Deutschlands noch den internationalen Menschenrechtsbestimmungen oder der Genfer Flüchtlingskonvention. “Wir verurteilen diese Politik sowie die sich weiter ankündigenden pauschalen Massenabschiebungen deshalb mit Nachdruck”, so Stefan Stein abschließend. So ist für den 8. April eine Abschiebung von Hannover nach Skopje geplant – dem Internationalen Tag der Sinti und Roma.