Schlagwort: Dresden

Artikel der Soligruppe in Analyse und Kritik (ak 593)

Antifaschistische Selbsthilfe

International: Mit Blockaden wehren sich Roma und AntifaschistInnen gegen Neonazis in der Tschechischen Republik

Von der Soligruppe gegen Antiromaismus Dresden

Proteste und Übergriffe durch organisierte Nazis gegen Roma sind seit vielen Jahren in der Tschechischen Republik Realität. Im Jahr 2013 fanden fast an jedem Wochenende und teilweise in mehreren Kommunen gleichzeitig Aufmärsche statt. In Ceske Budejovice, Duchcov und Ostrava gingen im Mai 2013 jeweils mehr als 1.000 Neonazis auf die Straße. Unter Rufen wie »Zigeuner ins Gas!«, »Zigeuner zur Arbeit!« oder »Zigeuner abschlachten!« erhielten sie von umstehenden AnwohnerInnen Unterstützung. Nur die Polizei verhinderte, dass der Mob in die Häuser der Roma eindrang. Während dieser »heißen Phase« der Proteste starb der Rom Ivan Jarka (46) durch 21 Messerstiche, als er von Nazis attackierten Jugendlichen zu Hilfe eilte.

In diesem romafeindlichen Umfeld organisiert die Nichtregierungsorganisation Konexe aus Usti n. L. seit 2011 eine ganz eigene Form von Selbsthilfe. Die Organisation besteht zum großen Teil aus Roma und solidarischen AntifaschistInnen. Dabei geht es nicht um eine bessere Qualifikation oder Arbeitsbeschaffung für Roma. Unter dem Motto »černí, bílí, spojme síly!« (Schwarz, weiß, vereint kämpfen!) organisiert Konexe Antinaziproteste und orientiert sich dabei an Blockadestrategien, wie sie etwa durch Dresden Nazifrei! angewandt wurden.
Und diese Form der Selbsthilfe ist dringend nötig. Als im September 2011 in Varnsdorf direkt an der deutsch-tschechischen Grenze Neonazis Proteste gegen die dort lebenden Roma-Familien initiierten, wurde schnell klar, dass die Attackierten allein sind. NachbarInnen solidarisierten sich nicht, sondern beteiligten sich an den Naziaktionen.
Vorgänge dieser Art ließen sich seitdem in vielen Orten Tschechiens beobachten. Sie sind offener Ausdruck einer antiromaistischen Stimmung, die im ganzen Land dominiert. Antiromaistischer Populismus wird dabei von allen Schichten bedient, auch den gesellschaftlichen Eliten. Im Zuge des neoliberalen Umbaus der osteuropäischen Länder in den 1990er Jahren veränderte sich das gesamte soziale Sicherungssystem hin zu einer Aktivierungspolitik, die soziale Ungleichheiten komplett individualisiert.
Das Modell des aktivierenden Sozialstaats trifft vor allem Roma, die durch den Zusammenbruch ganzer Industriezweige und einer massiven Schrumpfung des Arbeitsmarktes nicht mal mehr Hilfsjobs finden. Aktivierung – also ein anderes Wort für »Druck ausüben« – führt zu Kürzungen sozialer Leistungen, Verelendung und Segregation vieler Roma.
Nur selten stellen sich PolitikerInnen auf ihre Seite. Die Aufforderungen der EU an die tschechischen Regierungen vor allem an der Schulpolitik für Roma-Kinder etwas zu ändern, scheitert am Willen zur Umsetzung. Die Regierungsparteien wollen wiedergewählt werden. Weiße Eltern protestieren massiv gegen die Schließung der »Förderschulen«, in denen fast ausschließlich Roma-Kinder unterrichtet werden. PolitikerInnen bedienen dann das Ressentiment von »behinderten« und »zurückgebliebenen« Roma, um das segregierte Schulsystem zu rechtfertigen. Hier vermischen sich Rassismus und neoliberales Denken und führen zu einer Ethnisierung von Armut und Unterschicht.
Seit einigen Jahren, vor allem im Zuge von Wahlkämpfen, forcieren Neonazis mit einigem Erfolg ein offenes und brutales Vorgehen gegen Roma. Im Jahr 2013 meldete hauptsächlich die DSSS (Dělnická strana sociální spravedlnosti), die »Arbeiterpartei« mit ihrem Vorsitzenden Tomáš Vandas, solche Demonstrationen an. Unter dem Motto »Radikal. Sozial. National« oder »Europa, jung und revolutionär« veranstaltete sie zuletzt Ende 2013 eine Kundgebung in Prag. Mit dabei als RednerInnen waren Mitglieder der Jungen Nationaldemokraten, der Jugendorganisation der NPD. An diesen sogenannten Hassmärschen beteiligen sich aber auch autonome Gruppen wie Czech Lions oder die Svobodná mládež (Freie Jugend).
In den kommenden Wochen ist wieder mit antiromaistischen Aufmärschen zu rechnen, denn das Mobilisierungspotenzial ist hoch und wird medial angeheizt. Rechten Parteien wie der DSSS werden inzwischen deutlich mehr Chancen zugesprochen, bei den anstehenden Europawahlen Sitze im EU-Parlament zu gewinnen. In dieser Situation ist davon auszugehen, dass Neonazis sich wieder vor Häusern, in denen Roma leben, postieren werden. Auch Konexe steht dabei im Fokus. Erst Ende März protestierten 150 Neonazis in der Kleinstadt Duchcov gegen die Organisation, diesmal allerdings ohne Beteiligung der EinwohnerInnen und ohne Ausschreitungen wie im Jahr 2013.

Die Soligruppe gegen Antiromaismus aus Dresden steht im Austausch mit AktivistInnen von Konexe und Ne Rasismu! in Usti. Aktuelle Informationen: http://namf.blogsport.de

Grenzenlose Solidarität statt beschränktem Nationalismus!

Aufruf zur Beteiligung an den Protesten gegen den Naziaufmarsch am 1. Mai in Ústí nad Labem

In den letzten Jahren gab es immer wieder Proteste und Übergriffe durch organisierte Nazis gegen Rom_nja in der Tschechischen Republik. Im Jahr 2013 fanden fast an jedem Wochenende und teilweise in mehreren Kommunen parallel Aufmärsche statt. Viele Einwohner_innen der Gemeinden beteiligten sich an den „Hassmärschen“. Bereits am 15.02.2014 begann die „Saison“ für die Neonazis wieder.

Auch deutsche Nazis wie das „Freie Netz Süd“ mobilisieren regelmäßig für Events in Tschechien. Im Zuge des anstehenden Europawahlkampfes hat die tschechische Neonazipartei DSSS schon einige Veranstaltungen angekündigt. Unter anderem will sie am 1. Mai eine Demonstration im nur 60 Kilometer von Dresden entfernten Ústí nad Labem durchführen, für die auch freie Kräfte in Tschechien mobilisieren. Als Redner sind bereits Tomáš Vandas, Parteichef der DSSS, wie auch Paul Rzehaczek aus Leipzig, Vorsitzender der JN Sachsen, angekündigt; weitere „Gäste“ sollen in den nächsten Tagen bekanntgegeben werden. Offiziell rechnet die DSSS mit ca 500 Teilnehmer_innen, die unter dem Motto „Die Zukunft gehört der tschechischen Krone, nicht dem Euro“ demonstrieren werden. Obwohl sich die Demonstration diesmal nicht direkt gegen Rom_nja richtet, besteht eine reale Gefährdung, da sie nur 200 Meter entfernt von mehrheitlich von Rom_nja bewohnten Häusern vorbeiführen soll.
Während in der Region um Ústí Gegenproteste bisher nur von kleineren Gruppen und vor allem den Rom_nja selbst getragen wurden, wird in Ústí gerade eine neue Strategie versucht. Im Bündnis mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppen wird unter anderem über die Möglichkeiten von größeren Blockaden diskutiert – in jedem Fall sollen die Proteste gemeinsam organisiert werden. Im Vorfeld findet bereits eine öffentliche Diskussionsveranstaltung statt, in der unter anderem auch über die Erfahrungen mit dem 13. Februar in Dresden berichtet wird. Unsere Solidarität darf nicht an der Staatsgrenze enden, deshalb wollen wir die Proteste am 1. Mai in Ústí solidarisch unterstützen.

Sammelabschiebungen von Roma nach Serbien, Mazedonien und Bosnien verletzen Menschenwürde und Menschenrecht auf Asyl

Das Namf – Netzwerk Asyl, Migration, Flucht veröffentlichte folgende Pressemitteilung:

Das Netzwerk Asyl Migration Flucht verurteilt Massenabschiebungen von Roma in den Westbalkan. Die von der Bundesregierung angestrebte Sichere-Dritt-Staat-Regelung verhindert Einzelfallüberprüfungen und sorgt für ethnische Diskriminierung. Sachsen vollzieht Abschiebungen auch von Kranken und Schwangeren.

Das NAMF Dresden sieht im politischen Vorgehen der Bundesregierung und der vollziehenden Behörden des Bundes und der Länder deutliche Anzeichen für eine ethnische Diskriminierung von Roma: “Durch die angestrebte Deklarierung von sechs Balkanstaaten als „Sichere Herkunftsstaaten“ wird das Prinzip der Einzelfallentscheidung für betroffene Flüchtlinge aus diesen Ländern faktisch ausgehebelt”, so Stefan Stein vom Netzwerk. „Angesichts der massiven und nachgewiesenen Diskriminierungen, die Roma in diesen Ländern erfahren, gleicht dies einer ethnischen Diskriminierung.” Die Bundesregierung begründet ihr Vorgehen unter anderem mit der geringen Asylanerkennungsquote: „Dies ist aber eine Milchmädchenrechnung, weil das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF) europäisches und deutsches Recht nur unzureichend anwendet und damit für die geringen Quoten selber sorgt“, so Stein weiter.

Das NAMF Dresden fürchtet nach den Erfahrungen aus anderen Bundesländern nun auch wieder Sammelabschiebungen aus Sachsen: „Wir konnten in den letzten Wochen in Erfahrung bringen, dass für Ende März und Anfang April bundesweit Sammelabschiebungen angekündigt sind und befürchten, dass sich auch das Land Sachsen an diesen beteiligt“. Sachsen schiebt aber bereits seit einigen Monaten immer wieder Personen in die ehemaligen Staaten Jugoslawiens ab: „Dabei haben wir von einigen schlimmen Fällen erfahren: Im Februar wurde in Borna eine Frau im 7. Monat abgeschoben. In Dresden wurde Mitte Februar eine fünfköpfige Familie abgeschoben, obwohl die Mutter einen Herzfehler hatte und dringend eine Behandlung in Deutschland benötigte“. Vielen betroffenen Personen wird vorher die freiwillige Ausreise aus zweckfremden Erwägungen nicht gestattet, sodass es zu Abschiebungen kommt. „Wir verurteilen diese Praxis der Eskalation, um Menschen die Wiedereinreise nach Deutschland nicht zu ermöglichen. Wir rufen die sächsischen Vollzugsbehörden dazu auf, sich an den Grundsätzen des weltweit anerkannten Rechts auf Asyl zu halten“, so Stein.

Die NPD und rechte „Bürgerbewegungen“ nutzen antiziganistische und andere rassistische Stereotypen, um Stimmung gegen Asylsuchende in Deutschland zu erzeugen. Im Schatten der anstehenden Europa- und Kommunalwahlen gibt ihnen die deutsche Regierung mit der Verweigerung der Schutzbedürftigkeit auch für Menschen aus Albanien, Montenegro und dem Kosovo recht. Kritische Stellungnahmen von Pro Asyl oder entsprechende Berichte der EU-Kommission werden dabei nicht berücksichtigt.

“Die Folge dieser Politik”, so Stefan Stein, “ist das In Kauf nehmen von Leid und Elend einer ganzen Gruppe von Menschen zugunsten von Wählerstimmen”. Dies entspricht weder der historischen Verantwortung Deutschlands noch den internationalen Menschenrechtsbestimmungen oder der Genfer Flüchtlingskonvention. “Wir verurteilen diese Politik sowie die sich weiter ankündigenden pauschalen Massenabschiebungen deshalb mit Nachdruck”, so Stefan Stein abschließend. So ist für den 8. April eine Abschiebung von Hannover nach Skopje geplant – dem Internationalen Tag der Sinti und Roma.

Antifascist HipHop Solidarity Jam

In den letzten Monaten nahm die gewaltvolle Stimmung gegen Rom_nja in der Tschechischen Republik beängstigende Ausmaße an. Sogenannte Hassmärsche in Duchcov bei Teplice, in Varnsdorf, Ceské Budejovice und vor allem in Ostrava zeigen, wie angespannt die Situation ist. Im Oktober 2013 wurde in der Tschechischen Republik ein neues Parla- ment gewählt. Die Zeit des Wahlkampfes nutzten vor allem die neonazistische Partei DSSS und andere Nazis, um den ohnehin gesellschaftlich verbreiteten Antiroma- ismus mit rassistischen Aktionen vor Rom_nja-Wohnquartieren offen zu propagieren. Nicht selten kam es dabei zu Übergriffen auch aus der Mehrheitsgesellschaft. Rom_nja werden nicht nur in der Tschechischen Republik offen angegriffen und strukturell dis- kriminiert. In vielen Ländern Europas müssen sie zu Niedrigstlöhnen arbeiten, werden vom Schulbetrieb und vom Wohnungsmarkt ausgeschlossen und körperlich attackiert. Gegen diese offene und strukturelle Diskriminierung organisieren sich Rom_nja-Aktivist_innen und Unterstützer_innen.

Zu Gast ist Miroslav Brož (Usti) von der tschechischen NGO Konexe, der ihre Antidiskriminierungsarbeit in der Tschechischen Republik vorstellt. Im Anschluss findet ein HipHop-Jam statt.

08.Februar 2014
19h Vortrag
21.30h Konzert
Fakné (Feminist Hip Hop/Prag; CZ)
de la negra (Antifascist Hip Hop/Krupka; CZ)

Dj* Shannon Soundquist (female and feminist mc-ing//hip hop, indie hip hop, queer rap, zeckenrap, grime, bass music, acid ragga, carioca bass, electro-hop)

In Würde gedenken

Tschechische Roma streiten für ein Holocaust-Mahnmal

Seit Jahren fordern die tschechischen Roma eine Gedenkstätte für ihre Holocaust-Opfer. Bislang vergeblich. Auf dem Gelände des früheren Roma-KZ im mährischen Hodonin befindet sich heute ein Erholungszentrum. Und in Lety bei Pisek, dem Standort des zweiten ehemaligen Lagers für Roma, wird eine Schweinefarm betrieben. Zahlreiche Appelle von Roma-Verbänden, die Farm zu beseitigen, sind bislang gescheitert. Silja Schultheis berichtet aus Tschechien.

Eine Roma-Gedenkfeier im südböhmischen Lety für die Opfer des Holocaust. Auf dem provisorischen Friedhof, rund 150 Meter vom ehemaligen Konzentrationslager entfernt, haben sich rund 120 Menschen versammelt, dort wo der damalige Präsident Vaclav Havel 1995 ein Mahnmal errichten ließ.

Auf dem Lagergelände selbst befindet eine Schweinefarm mit 14.000 Tieren. Damit der Gestank nicht zum Friedhof herüberzieht, haben die Betreiber die Belüftung ausgeschaltet. Dennoch sei dies ein unwürdiger Ort für die Opfer des Holocaust, sagt Cenek Ruzicka, der seinen Großvater und seinen Bruder im KZ Lety verloren hat und heute Vorsitzender des Komitees zur Entschädigung des Roma-Holocausts ist:

„Schon seit zehn Jahren gibt es diesen unglaublichen Streit darüber, wie man der Opfer des Rassenhasses in Würde gedenken kann. Aber diese Farm ist immer noch in Betrieb, allen Bemühungen zum Trotz. Das zeigt, wie kompliziert das Verhältnis zwischen Tschechen und Roma bis heute ist.“

weiterlesen auf deutschlandfunk.de..